I. Vermutungen über einen ersten Kirchenbau.

Die heutige Kirche wurde in den Jahren 1846-1849 erbaut. Sie ersetzte einen älteren Bau, der nur wenige Meter entfernt auf demselben Kirchhof gestanden hatte. Bei dieser älteren Kirche handelte es sich um ein sehr viel kleineres, auffällig schmales Gebäude, dessen Grundriss etwas unproportioniert erscheint. Von ihr wissen wir, dass sie nach einer Zerstörung im Jahre 1510 wieder aufgebaut worden war, wobei vermutlich ältere Bauteile mit einbezogen wurden. über das Alter und die Form jener zerstörten Kirche ist nichts überliefert, sodass wir auf Vermutungen angewiesen sind.

Wellen gehört zu den ältesten Ansiedlungen im Edertal. Mit Sicherheit war das Dorf in die erste Christianisierung und in die durch Bischof Bonifatius bewirkte kirchliche Organisation einbezogen. So wird es sehr früh auch eine Kapelle erhalten haben wie die anderen Dörfern der Umgebung. Wie könnte sie ausgesehen haben?[1]

Die dem Heiligen Martin gewidmete Kirche in Bergheim entstand in ihren Anfängen vermutlich im 10. oder 11. Jahrhundert.[2] Sie besaß für das „Archipresbytarat“ der Erz-Diözese Mainz eine zentrale Bedeutung. Von hier aus wurde das kirchliche Leben in der hiesigen Edergegend sowie auch in den mehr abseits liegenden Seitentälern der Eder geregelt und betreut. Wir können davon ausgehen, dass alle zugehörigen Dörfer in der Folgezeit von ein oder zwei Jahrhunderten erste kleine Kirchen erhalten haben. Sie waren zunächst vor allem als Tauf- oder Totenkapellen gedacht, jedoch später erweitert oder umgebaut im Sinne von Gemeindekirchen.

Dort wo in unserer Umgebung alte Kirchengebäude erhalten sind, wie z.B. Wega, Mandern, Gellershausen, Frebershausen, Hüddingen u.a., begegnet uns in der Regel Mauerwerk aus Stein, z.T. sogar mit gewölbten Chorräumen oder Turm-Untergeschossen. Immer stellen wir aber auch bauliche Veränderungen fest, bei denen es sich erfahrungsgemäss um Erweiterungen handelt. Man entdeckt z.B. nachträglich gebrochene Fenster, ehemalige und jetzt zugemauerte Eingänge oder unterschiedliches Mauerwerk. Auch Fachwerkaufbauten lassen auf spätere Zutaten schließen. Die Beobachtung sagt uns, dass jeweils den ursprünglich kleineren und älteren Baukörpern später Größere hinzugefügt worden sind. So besteht in Wega und Mandern der Altarraum aus Gewölben, während das Schiff jeweils mit einer Holzdecke versehen und deutlich erkennbar später angefügt ist.

Viele andere Dörfer haben ihre ursprünglichen Kirchen und Kapellen im Laufe der Jahrhunderte durch neue und einheitlich konzipierte Gebäude ersetzt, so z.B. im 17.Jahrhundert Kleinern, im 18.Jahrhundert Giflitz, Braunau, Geismar u.a., im 19.Jahrhundert Anraff, Königshagen, Hemfurth, Braunau u.a., im Anfang des 20.Jahrhunderts Hundsdorf .[3]

Wellen wird zu den ersten Dörfern gehört haben, die eine Kapelle erhielten. Sie wurde oberhalb des Dorfes errichtet, wodurch ihre Lage bis heute festgelegt blieb. Auf dem  Kirchhof wurden die Toten bestattet, wie es seit den Anfängen des Kirchbaus üblich war. Vermutlich war sie wie andere Kapellen der frühen Zeit aus Stein gebaut, in unserem Fall aus dem Sandstein der Umgebung.

Nachdem der hessische Adlige Schenck zu Schweinsberg das Dorf im Jahre 1510 samt der Kirche zugrunde gerichtet hatte[4] , wurde sie neu gebaut, nun aber „zum Theil von Steinen, zum Theils von Holtz“. So wird sie von dem waldeckischen Geschichtsforscher Joh. Adolph Theodor Ludwig Varnhagen um das Jahr 1800 beschrieben.[5] Diese Beschreibung hätte nicht auf einen Fachwerkbau mit Steinsockel gepasst, wohl aber auf ein Gebäude mit unterschiedlichen Bauabschnitten. Der etwas ungewöhnliche Grundriss, den wir aus einer Karte von 1755 kennen[6] , zeigt ein schmales Kirchenschiff mit einem noch schmaleren, in der Länge überdehnten Chorraum. Chor und Schiff haben keine identische Mittelachse, sodass der Eindruck entsteht, diese beiden Bauteile entstammten verschiedenen Epochen. Man kann also davon ausgehen, dass die ältere und kleinere Kirche nun dem späteren und Größeren Anbau als Chorraum gedient hätte. Der ursprünglich aus Stein gefügte Bau wurde mit einem Fachwerk vergrößert.

Für diese Vermutung spricht auch die Tatsache, dass das steinerne Epitaph des Pfarrers Abel von 1614[7] in der alten Kirche aufgerichtet war. Technisch gesehen konnte ein Werk dieser Art und dieses Ausmaßes nur stehend in eine Mauer eingelassen, nicht dagegen auf Fachwerk befestigt gewesen sein.[8]

Dann wäre der Chor der 1846 abgerissenen Kirche die erste Kapelle des Dorfes gewesen.

Es fehlen übrigens Anzeichen einer Wehranlage wie in Mandern, Bergheim, Geismar (Kirchhofsmauern) oder Wega, Affoldern (Wehrtürme).

Die Wellener Kirche über Dorf und Edertal (Foto: Hubert Hahn, Wellen 1987

Die Wellener Kirche über Dorf und Edertal (Foto: Hubert Hahn, Wellen 1987



[1] über dieses Thema schrieb Professor Victor Schultze (1851-1937), der Pfarrerssohn aus Wellen, einen Beitrag in der „Waldeckischen Landeskunde“ von 1909 (Seite 261-276) unter dem Titel „Die waldeckische Dorfkirche“ (wiederholt in: Wald. Landeskde. 1929 Seite 192-201). Schultze vermutet, dass in der Folge der Christianisierung zunächst kleine Holzkirchen in den Dörfern errichtet wurden, die man in der Zeit etwa ab 1100 durch steinerne Gebäude ersetzte.

[2] Der Bau der Kirche samt einer Wehrmauer muss der Beginn der Besiedlung diese Ortes gewesen sein. Das ältere, im Breviarium St.Lulli genannte Nielach östlich des heutigen Ortes ging in diese Neuansiedlung auf.

[3] Vgl. hierzu die entsprechenden Abschnitte in: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Waldeck - Teil Kreis der Eder, Korbach 1960.

[4] Diese Nachricht wird von Varnhagen in seinen Handschriften (Archiv des Wald. Geschichtsvereins in Arolsen) überliefert; aus anderer Quelle berichtet V. aber auch von einem überfall des Hermann Schütz aus Hessen im Jahre 1507, bei dem das Dorf verbrannt wurde. Möglicherweise handelt es sich um das selbe Ereignis, welches in verschiedene Varianten überliefert worden war.

[5] Die handschriftlichen Aufzeichnungen Varnhagens über Wellen sind im Archiv des Waldeckischen Geschichtsvereins in Arolsen erhalten. V. muss um das Jahr 1800 selbst in Wellen gewesen sein. Darauf lassen seine umfangreiche Abschriften aus den Kirchenbüchern schließen.

[6] OSB, Seite 31

[7] S. die Beschreibung in der Festschrift 1200 Jahre Wellen, Seite 44; ferner H.-R. Ruppel  „Urit amor  volucres...“ in Geschichtsblätter für Waldeck, Bd.87/1999, S.186 ff

[8] Es war noch bis ins 18.Jahrhundert hinein üblich, dass die am Ort verstorbenen Pfarrer, sowie auch deren Familienangehörige, im Inneren der Kirche beigesetzt wurden.